Am 11.06.2015 hat der Bundesgerichtshof früher als gedacht in 3 Filesharing Fällen des OLG Köln vollständig zugunsten der Musikindustrie entschieden und die Urteile des Oberlandesgerichts bestätigt. Es wird aber weiterhin viele Fälle geben, in denen abgemahnte/verklagte Anschlussinhaber nicht für die über ihren Anschluss begangenen Urheberrechtsverletzungen haften. Es kommt aber nun noch mehr als bislang schon sehr auf den jeweiligen Einzelfall und die tatrichterliche Würdigung dessen an.Damit steht nun höchstrichterlich fest, dass für jeden über einen betroffenen Internetanschluss gefilesharten Musiktitel € 200,00 Schadensersatz von den Rechteinhabern gefordert werden können. Dies ist für sich genommen noch nicht erstaunlich und wurde etwa vom OLG Frankfurt (Urteil vom 15.7.2014, Az.: 11 U 115/13 mit Anmerkung Jaeschke , GRUR-Prax 2014, 390) auch schon so ausgeurteilt. Der BGH hat aber zudem bestätigt, dass das OLG Köln mit Recht auch einen Anspruch auf vollen Ersatz von Abmahnkosten angenommen und dessen Höhe auf der Basis des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes berechnet. Auch gegenüber Privatpersonen werden damit je nach Einzelfall weiterhin Unterlassungsstreitwerte aus denen sich die zu erstattenden Abmahnkosten ergeben von vielen zehntausend Euro im Raum stehen.
Die Urteilsbegründungen liegen zwar noch nicht in gedruckter Form vor, die Urteile sind aber letztlich soweit aus der Stellungnahme des BGH ersichtlich keine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des BGH, sondern jeweils den Umständen der konkreten Einzelfälle geschuldet. Die Grundsätze aus den Urteilen des BGH „Sommer unseres Lebens“, „Morpheus“ und „BearShare“ behalten also wohl ihre Gültigkeit.
I. Keine Abkehr von der bisherigen BGH-Rechtsprechung erkennbar
Nach dem Urteil „Sommer unseres Lebens“ des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 12.05.2010, Az.: I ZR 121/08) gilt:
„Wird ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, so spricht (…) eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen“ (BGH, aaO, Rn. 12).
Nach diesem Urteil gilt weiterhin:
„Es würde die privaten Verwender der WLAN-Technologie (…) unzumutbar belasten und wäre damit unverhältnismäßig, wenn ihnen zur Pflicht gemacht würde, die Netzwerksicherheit fortlaufend dem neuesten Stand der Technik anzupassen und dafür entsprechende finanzielle Mittel aufzuwenden. Die Prüfungspflicht im Hinblick auf die unbefugte Nutzung eines WLAN-Routers konkretisiert sich vielmehr dahin, dass jedenfalls die im Kaufzeitpunkt des Routers für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen ihrem Zweck entsprechend wirksam einzusetzen sind. (…) Die Prüfpflicht des Beklagten bezieht sich (…) auf die Einhaltung der im Kaufzeitpunkt des Routers für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen. Diese Pflicht hat der Beklagte verletzt. Der Beklagte hat es nach dem Anschluss des WLAN-Routers bei den werkseitigen Standardsicherheitseinstellungen belassen und für den Zugang zum Router kein persönliches, ausreichend langes und sicheres Passwort vergeben. Der Schutz von Computern, Kundenkonten im Internet und Netzwerken durch individuelle Passwörter gehörte auch Mitte 2006 bereits zum Mindeststandard privater Computernutzung und lag schon im vitalen Eigeninteresse aller berechtigten Nutzer. Sie war auch mit keinen Mehrkosten verbunden“ (BGH, aao, Rnn. 23, 34).
In einer Entscheidung hat das AG Frankfurt dann allerdings genügen lassen, wenn ein durch den Hersteller individuell vergebenes Passwort (individueller 13-stelliger Authentifizierungsschlüssel auf der Rückseite der »Fritz-Box«, also nicht lediglich „0000“ o.ä.) nicht geändert wird, da es auf das Schutzniveau ankomme (AG Frankfurt, Urteil vom 14.06.13, 30 C 3078/12).
Im Morpheus -Urteil hatte der BGH zudem entschieden:
„Eltern genügen ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes 13-jähriges Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internets durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern erst verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind dem Verbot zuwiderhandelt“ (BGH, Urteil vom 15.11.2012, Az.: I ZR 74/12).
Das Urteil (keine generelle Überwachungspflicht bei Kindern), befreit aber nicht die – auch minderjährigen – Kinder selbst von der Haftung, wenn diese die Tat begangen haben.
Der BGH hatte dann zuletzt am 08.01.2014 entschieden, dass der Inhaber eines Internetanschlusses für das Verhalten eines volljährigen Familienangehörigen nicht haftet, wenn er keine Anhaltspunkte dafür hatte, dass dieser den Internetanschluss für illegales Filesharing missbraucht (BGH, Urteil vom 08.01.2014, Az.: I ZR 169/12 – BearShare ).
Die nun entschiedenen Fälle unterscheiden sich von diesen Urteilen im Sachverhalt, so dass es weiterhin Fälle geben wird, in denen abgemahnte/verklagte Anschlussinhaber nicht für die über ihren Anschluss begangenen Urheberrechtsverletzungen haften. Es kommt aber sehr auf den jeweiligen Einzelfall und die tatrichterliche Würdigung dessen an.
II. Der Fall Az. I ZR 7/14: Ohne ausreichende Belehrung volle Haftung
In dem Fall mit dem Aktenzeichen I ZR 7/14 wurde der Internetanschluss von der Beklagten, ihrem 16jährigen Sohn und ihrer 14jährigen Tochter genutzt. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung räumte die Tochter der Beklagten aber nach Belehrung über ihre Rechte als Beschuldigte ein, die Musikdateien heruntergeladen zu haben. Vor Gericht hatte die Tochter ihr Geständnis wiederholt. Die beklagte Anschlussinhaberin haftete hier voll für den durch die Verletzungshandlung ihrer damals minderjährigen Tochter verursachten Schaden gemäß § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB , weil das Berufungsgericht im Streitfall nicht feststellen konnte, dass die Beklagte ihre Tochter entsprechend den Grundsätzen der Morpheus -Entscheidung belehrt hat. Dass die Beklagte für ihre Kinder allgemeine Regeln zu einem „ordentlichen Verhalten“ aufgestellt haben wollte, reichte dem Gericht nicht aus.
Fazit: Eltern sollte ihre minderjährigen Kinder ausdrücklich über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihnen eine Teilnahme daran deutlich verbieten.
III. Der Fall Az. I ZR 19/14: Bei ausreichender Verschlüsselung und keinem Dritter als möglichem Täter haftet der Anschlussinhaber voll als Täter
In dem Rechtsstreit mit dem Aktenzeichen I ZR 19/14 hat der Beklagte die Richtigkeit der Ermittlung seiner IP-Adresse durch das von der Klägerin beauftragte Softwareunternehmen und der Auskunft des Internetproviders bestritten und insgesamt in Abrede gestellt, dass er oder ein in seinem Haushalt lebender Familienangehöriger die Musikdateien zum Herunterladen angeboten haben. In diesem Fall war unstreitig, dass zum fraglichen Zeitpunkt der Rechner, der im Arbeitszimmer des Beklagten installiert war, eingeschaltet und mit dem Internet verbunden gewesen ist. Die Ehefrau des Beklagten verfügte nicht über Administratorenrechte zum Aufspielen von Programmen und dem 17jährigen Sohn war das vor der Nutzung des Computers einzugebende Passwort nicht bekannt. Die theoretische Möglichkeit, dass bei den Ermittlungen des Softwareunternehmens und des Internetproviders auch Fehler vorkommen können, spricht nach Ansicht des BGH nicht gegen die Beweiskraft der Ermittlungsergebnisse, wenn im Einzelfall keine konkreten Fehler dargelegt werden, die gegen deren Richtigkeit sprechen. Bei diesem Vortrag des Beklagten und der vorgenannten Wertung des BGH war dann klar, dass das Gericht davon ausging, die Musikdateien seien über den Internetanschluss des Beklagten zum Herunterladen verfügbar gemacht worden und den Beklagten für die Urheberrechtsverletzungen als Täter hat einstehen lassen.
Fazit: In Fällen, in denen der Internetanschluss „sicher“ verschlüsselt ist und kein Familienangehöriger außer dem Anschlussinhaber das Filesharing betrieben haben konnte, sollten die Abgemahnten schon vorgerichtlich über Vergleiche mit den Rechteinhabern ernsthaft nachdenken ohne diesen zuvor mitgeteilt zu haben, dass man fest davon ausgehe, dass kein Familienangehöriger die Tat begangen habe, weil dies aus welchen Gründen auch immer garnicht möglich sei.
IV. Der Fall Az. I ZR 75/14: Der vorgetragene Sachverhalt muss gerichtlicher Überprüfung standhalten
In dem Fall mit dem Aktenzeichen I ZR 75/14 hatte der Beklagte vorgetragen, er und seine Familie seien bereits vor den Tatzeitpunkte in Urlaub gefahren und er habe vor Urlaubsantritt sämtliche technischen Geräte, insbesondere Router und Computer vom Stromnetz getrennt. Dieser Vortrag hat sich in dem Verfahren durch die Vernehmung der beiden Söhne des Beklagten und seiner Ehefrau jedoch nicht bestätigt. Der BGH hat dann die Verurteilung des Beklagten als Täter der Verletzungshandlung bestätigt. Der Beklagte habe nicht dargelegt, dass andere Personen zum Tatzeitpunkt selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und deshalb als Täter der geltend gemachten Rechtsverletzungen in Betracht kommen. Damit griff in diesem Fall die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Inhabers eines Internetanschlusses nach dem Urteil des BGH „Sommer unseres Lebens“ ein.
Fazit: Der vorgetragene Sachverhalt muss gerichtlicher Überprüfung standhalten. Wer nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen kann, dass andere Personen zum Tatzeitpunkt selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und deshalb als Täter der geltend gemachten Rechtsverletzungen in Betracht kommen, sollte ebenfalls über einen vorgerichtlichen Vergleich mit den Rechteinhabern nachdenken.
Die Beurteilung von Filesharing-Sachverhalten wird durch die neuen Urteile noch komplexer als bislang schon. Abgemahnte sollten hier Waffengleichheit schaffen und aufgrund der immensen Kostenrisiken das jeweilige Vorgehen mit einem spezialisierten Fachanwalt, etwa einem Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, ausführlich erörtern.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 92/2015 des Bundesgerichtshofs vom 11.06.2015;
BGH, Urteil vom 11.06.2015, Az.: I ZR 7/14 – Tauschbörse II; Vorinstanzen: OLG Köln, Urteil vom 06.12.2013, Az.: 6 U 96/13; LG Köln, Urteil vom 02.05.2013, Az.: 14 O 277/12;
BGH, Urteil vom 11.06.2015, Az.: I ZR 19/14 – Tauschbörse I; Vorinstanzen: OLG Köln, Urteil vom 20.12.2013, Az.: 6 U 205/12 und LG Köln, Urteil vom 31.10.2012, Az.: 28 O 306/11; BGH, Urteil vom 11.06.2015, Az.: I ZR 75/14 – Tauschbörse III; Vorinstanzen: OLG Köln, Urteil vom 14.03.2014, Az.: 6 U 210/12; LG Köln, Urteil vom 24.10.2012, Az.: 28 O 391/11.